Dissertationsprojekt

Kulturpolitische Neuausrichtung in der New World Order? Das Goethe-Institut in Polen und Südafrika (1990-2000)

In der Dekade politischer Umbrüche zwischen Wiedervereinigung und Milleniumswechsel wurden Gewissheiten der deutschen Außen(kultur)politik porös. Demokratieförderung, Einsatz für Menschenrechte, Unterstützung der Zivilgesellschaft, die politische Förderung von Rechtsstaatlichkeit und Marktwirtschaft stiegen zu konzeptionellen Referenzgrößen der bundesdeutschen auswärtigen Kulturpolitik auf, die vier Dekaden dauernde außenpolitische Konkurrenz mit der DDR war dagegen passé. War vor 1989/90 Außen(kultur)politik oftmals Deutschlandpolitik in globalen Bezügen gewesen, drängte sich in den 1990er Jahren die Frage nach der ‚Transformation‘ von Staaten und Gesellschaften in den Vordergrund. Wie reagierte das Goethe-Institut auf diese Umbrüche, wie gestaltete es sie gleichzeitig auch mit? Die Einbindung des Goethe-Instituts zur Förderung dieser Politik wirft nicht nur weitreichende Fragen für das Verhältnis von Abhängigkeit und Autonomie der Münchner Mittlerorganisation im Konzert der Außenpolitik auf, sondern erlaubt es mittels einer eingehenden Analyse des Goethe-Instituts Erkenntnisse zur Konzeption und Praxis der bundesdeutschen Außenpolitik nach 1989/90 zu generieren. Im Kern zielt die Arbeit somit auch auf die Frage, ob mit dem Wegfall des Blockgegensatzes und der Wiedervereinigung auch die spezifisch altbundesrepublikanische ‚Haltung der Zurückhaltung‘[1] durch ein neues, proaktives außenpolitisches Selbstverständnis ersetzt und wie dieses Selbstverständnis in konkrete Kulturpolitik übersetzt wurde.

Ziel des Dissertationsprojekts ist daher ein analytischer Vergleich zwischen den Gründungsprozessen und der kulturpolitischen Praxis der Goethe-Institute in Warschau und Johannesburg: Aus welchen Gründen und wie vollzog das Goethe-Institut die Gründungen der Auslandsinstitute in Polen 1990 und Südafrika 1996? Auf welcher kulturpolitischen Programmatik fußten diese Entscheidungen und wie wurden diese in eine konkrete Kulturarbeit vor Ort übersetzt? Und schließlich: Inwiefern ermöglicht die Sonde Goethe-Institut Rückschlüsse auf die auswärtige Kulturpolitik respektive die Außenpolitik der jungen Berliner Republik?

Fokus der Arbeit sind hierbei die politischen Aushandlungs- und Entscheidungsprozesse zwischen Bundeskanzleramt, Auswärtigem Amt, Goethe-Institut und den jeweiligen Partnerstaaten.  Zugleich will die Arbeit durch Mikrostudien und eine dichte Analyse der Kulturarbeit in den Partnerstaaten eruieren, inwiefern die außenkulturpolitischen Vorgaben vor Ort implementiert, adaptiert, oder konterkariert wurden. Sie ist bestrebt aufzuzeigen, wie die jeweiligen politischen Strategeme in ein konkretes Kultur- und Bildungsprogramm überführt wurden. Analytischer Angelpunkt sind „die Prozesse an der Schnittstelle zwischen Visionen und Praktiken“[2]. Folglich bedarf es der Analyse des Translationsprozesses von kulturpolitischer Programmatik in praktische Kulturarbeit vor Ort. Ihr Ziel ist daher keine Wirksamkeitsstudie über die langfristigen ‚Erfolge‘ deutscher auswärtiger Kulturpolitik in Osteuropa und dem südlichen Afrika, sondern Analyse des Wechselspiels von politischer Instrumentalisierung und kulturpolitischer Autonomiebestrebung an konkreten Örtlichkeiten.

[1] Siehe Paulmann, Johannes: Deutschland in der Welt: Auswärtige Repräsentationen und reflexive Selbstwahrnehmung nach dem Zweiten Weltkrieg – eine Skizze, in: Hockerts, Hans Günter (Hg.): Koordinaten deutscher Geschichte in der Epoche des Ost-West-Konflikts (=Schriften des Historischen Kollegs; Bd. 55), München 2004, S. 63-78.

[2] Siehe Burton, Eric: In Diensten des Afrikanischen Sozialismus.Tansania und die globale Entwicklungsarbeit der beiden deutschen Staaten, 1961–1990 (=Studien zur Internationalen Geschichte; Bd. 49), Berlin 2021, S. 4.